Søren Schaffstein Mario Lubenka
02.09.2024

Lesezeit: 8 Minuten

Wie gelingen gute Zeitschätzungen trotz Story Points?

Uhr auf gelben Hintergrund mit Story Poins von 1 bis 5



Im agilen Entwicklungsteam setzen wir auf die beliebte Methodik der Story-Point-Schätzung, um die Komplexität von Aufgaben zu schätzen. Diese Vorgehensweise hat sich als äußerst nützlich erwiesen, wenn es darum geht, schwer quantifizierbare Arbeitsschritte zu bewerten und die Flexibilität eines agilen Prozesses beizubehalten. (siehe auch unser Artikel Schätzen von Aufwänden in Scrum-Teams: Ein Blick hinter die Kulissen) Doch wie lässt sich dennoch eine zuverlässige Zeitschätzung erzielen, wenn wir ausschließlich Story Points verwenden?

Vom Bauchgefühl zur datenbasierten Schätzung

Traditionell basieren viele Zeitschätzungen auf dem Bauchgefühl und den Erfahrungswerten der Teammitglieder. Während dieser Ansatz bei erfahrenen Enwicklern gut funktionieren kann, birgt er aber auch das Risiko von Ungenauigkeiten. Dies liegt insbesondere daran, dass Schätzungen von Natur aus komplex sind, da sie durch viele Faktoren beeinflusst werden.
Menschen sind im Allgemeinen besser darin, relative Unterschiede zwischen Aufgaben zu beurteilen, als absolute Werte wie Zeit oder Kosten zu schätzen. Beispielsweise ist es einfacher zu sagen, dass eine Aufgabe doppelt so viel Zeit in Anspruch nimmt wie eine andere, als zu sagen, dass sie genau 10 Stunden dauert.

Aus diesen Gründen schätzen unsere Entwickler die Komplexität von Aufgaben an Hand von Story Points und nicht den Zeitaufwand. Mit diesem Werkzeug kommen wir zu guten Schätzergebnissen, die insbesondere für unsere Sprintplanung wichtig sind.

Woher mit der Zeitschätzung?

Story Points sind aber kein Allheilmittel, denn manchmal braucht man eben doch einen Schätzwert in Form von Tagen oder Stunden. Z. B. wenn der Product Owner (PO) die Kosten eines Features abschätzen möchte. Das kann insbesondere dann wichtig sein, wenn er im Unternehmen ein konkretes Budget beantragen muss.

Wir haben hier also zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die gleiche Situation: Die Entwickler können effizienter mit Story Points umgehen, während der PO dennoch eine Zeitschätzung benötigt. Warum also nicht die von uns ohnehin produzierten Daten nutzen und somit auf eine empirische Datenbasis zurückgreifen?

Hier kommt unser Know-How aus dem Bereich der Data Science ins Spiel. Durch die regelmäßige systematische Auswertung unserer Tickets und Zeiterfassungen können wir ziemlich gute Erwartungswerte für Story-Point-Schätzungen abgeben. Diese unterstützen uns dann bei der Erstellung exakterer Zeitschätzungen.

Der Datenfluss im Detail

Erfassung und Dokumentation

Der erste Schritt besteht darin, die relevanten Daten sauber zu erfassen. Das bedeutet, dass wir jedes Ticket und die zugehörige Zeiterfassung präzise dokumentieren. Zu den wichtigsten Informationen gehören unter anderem:
- Die zugewiesenen Story Points
- Der tatsächliche Zeitaufwand für jede Aufgabe
- Der Status und Fortschritt der Aufgabe

Datenanalyse

Unsere Daten und Auswertungen aktualisieren wir sehr regelmäßig. Hierbei kommen Techniken aus der Data Science zum Einsatz, um die Beziehung zwischen Story Points und tatsächlichem Zeitaufwand zu untersuchen. Dabei fokussieren wir uns auf die folgenden Aspekte:
- Velocity: Wie viele Story Points hat das Team in den letzten Sprints erledigt und wie hat sich das ggf. gegenüber früheren Sprints verändert.
- Median: Ermittlung des Medians der Zeit für Aufgaben mit identischen Story-Point-Bewertungen.
- IQR: Bestimmung der Schwankungen und Varianzen, um die Zuverlässigkeit unserer Schätzungen zu bewerten. Hierbei nutzen wir die IQR (Interquartile Range) statt der Standardabweichung, da diese robuster gegenüber Ausreißern ist.

Vorhersagemodelle

Mit den gewonnenen Erkenntnissen können wir Vorhersagemodelle entwickeln, die uns dabei helfen, zukünftige Aufgaben und Projekte besser zu planen. Diese Modelle basieren auf empirischen Daten und ermöglichen es uns, präzisere Zeitschätzungen zu erstellen.
Ein einfach umsetzbarer Ansatz ist die Generierung eines Box-Plots. Auf diesem kann das Team auf einen Blick erkennen, in welchen Aufwandsbereichen sich eine Story-Point-Schätzung typischerweise bewegt.

Grafik Skizze eines Boxplots

In der obigen Beispielauswertung würde eine Schätzung von 3 Story Points also meistens 15 h Arbeit bedeuten. Gleichzeitig erkennt man aber auch den Schwankungsbereich. Typischerweise werden also Aufgaben mit 3 Story Points zwischen 6 h und 24 h benötigen.

Obacht!

Alle schöne Mathematik muss aber immer auch die Menschen im Team betrachten. So bedeutet z. B. die Veränderung der Team-Zusammensetzung meistens auch eine Veränderung der Bedeutung von Story Points. Hier müssen wir dann ganz nach dem agilen Prinzip Inspection -> Adaption betrachten was passiert und dann unsere Erkenntnisse basierend auf den Betrachtungen aktualisieren.

Der Vorteil der empirischen Zeitschätzung

Durch die kontinuierliche Nutzung unserer Daten und die Implementierung von Vorhersagemodellen können wir eine Reihe von Vorteilen realisieren:

- Genauigkeit: Unsere Schätzungen basieren auf echten Daten, was die Treffgenauigkeit signifikant erhöht.
- Transparenz: Teammitglieder und Stakeholder können unsere Schätzungen und die dahinterstehenden Daten nachvollziehen, was das Vertrauen und die Planbarkeit erhöht.
- Kontinuierliche Verbesserung: Durch die regelmäßige Aktualisierung unserer Daten und Modelle können wir stets aus vergangenen Projekten lernen und unsere Vorhersagen kontinuierlich verfeinern.

Fazit

Gute Zeitschätzungen trotz Story Points – das ist kein Widerspruch, sondern eine Symbiose aus agiler Flexibilität und datengetriebener Präzision. Indem wir unsere Projektdaten sorgfältig sammeln und analysieren, können wir empirische Vorhersagen treffen. Diese helfen uns dann dabei, unsere Projekte effizient und termingerecht abzuschließen. Unser Fokus auf Data Science und die konsequente Nutzung der produzierten Daten hat sich als wertvoller Baustein in unserer agilen Methodik herausgestellt und trägt maßgeblich zu unserem Projekterfolg bei.

P.S.: Weil es allzu oft Missverständnisse bei dieser Thematik gibt, möchten wir an dieser Stelle noch mal explizit betonen: Story-Point-Schätzungen sind keine Zeitschätzungen. Wir können aber basierend auf unseren Erfahrungen sehr wohl gute Erwartungskorridore für den Zeitaufwand ableiten.

References

[1] Schätzen von Aufwänden in Scrum-Teams: Ein Blick hinter die Kulissen
[2] Unsere Data-Science-Experten

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